(Gerald Knaus, Migrationsforscher, Interview, NOZ, 15.03.2022)
Erstmals seit fast 80 Jahren tobt in Europa wieder ein Krieg. Was viele Menschen sich nicht vorstellen konnten, ist Realität. Putin hat uns am 24. Februar gezeigt, wie angreifbar wir sind. Deutschland, Europa, die ganze westliche Welt. Mit seinem Angriffskrieg, der bewusst zivile Ziele avisiert und sogar vor einer Entbindungsstation nicht Halt macht, stellt er das ukrainische Volk vor die Frage von Freiheit oder Sklaverei, Demokratie oder Diktatur, von Leben oder Tod. Uns, die westliche Volksgemeinschaft, fordert er heraus, zu zeigen, was uns Demokratie und Freiheit wert sind und welchen Preis wir zu zahlen bereit sein werden.
Der Migrationsforscher Gerald Knaus rechnet mit der größten Flüchtlingswelle seit dem zweiten Weltkrieg. 3 Millionen Flüchtlinge verließen ihr Land in nur drei Wochen. Davon mehr als 700.000 Kinder. Über 1,8 Millionen nahm das Nachbarland Polen auf. Allein die Stadt Warschau zählt zur Zeit 300.000– doppelt so viele wie ganz Deutschland bisher aufgenommen hat. Es kommen fast ausnahmslos Frauen und Kinder. Die Männer, Väter, Söhne bleiben dort und kämpfen. Aber auch viele Frauen kämpfen mit. An allen Fronten. Für die Flüchtenden,- die Frauen, Mütter, Kinder-, kommt zu dem Trauma von Krieg und Zerstörung noch die ständige Angst um das Leben derer hinzu, die sie an der Front zurückließen. Und die Trauer um den Verlust, wenn sie getötet wurden.
Putins grausamer und völkerrechtswidriger Angriff geht uns alle an.
Er berührt uns auf unterschiedliche Weise. Die einen lähmt er vor Angst, andere sorgen sich wegen der teuren Folgen der Sanktionen um ihre Existenz, alle fühlen die Ohnmacht angesichts von so viel Gewalt und Leid. Doch aus dieser Ohnmacht entsteht eine überwältigende Kraft. Die Kraft, zu helfen. Durch Spenden, Solidaritätsbeweise bei Demonstrationen, Aufnahme und Unterstützung von Geflüchteten. Durch die Erfahrungen der Jahre 2015/2016 ist Deutschland gut auf die Aufnahme von Flüchtlingen vorbereitet. Eine große Erleichterung stellt die von der EU erlassene „Massenmigrations-Richtline“ dar, die besagt, dass Einreisende bis zu drei Jahre bleiben können, kein Asyl beantragen müssen und direkt arbeiten dürfen. Das erspart den Helfenden und den Geflüchteten die zermürbenden Behördengänge, die einen Großteil der Arbeit in den 2016er Jahren ausmachten.
Auch Bad Essen hat 2015/2016 wertvolle Erfahrungen gesammelt, die heute, angesichts der sich stellenden Herausforderungen eingesetzt werden können. Der Verein OK! Bad Essen e.V, im November 2015 im Zuge des Flüchtlingszustroms aus Syrien gegründet, war von Anfang an ein wichtiger Partner der Kommune. Über 120 Mitglieder hat der Verein, viele Patenschaften wurde 2015/2016 übernommen und bestehen noch heute. Die enge Zusammenarbeit mit Kommune und Landkreis hat sich damals bewährt. Ehrenamtliches und hauptamtliches Engagement haben sich ergänzt und gegenseitig unterstützt – so auch heute, hier und jetzt.
„Der Verein OK! Bad Essen will eine Art Verbindungsstelle zwischen Haupt – und Ehrenamt sein, zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft“, betont Daniel Reitel, Vorsitzender des Vereins. Die Herausforderungen seien riesig. „Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon – und der will gut vorbereitet sein!“ Melden Sie sich bei Interesse zur Mitarbeit, wenn Sie Wohnraum zur Verfügung stellen können oder Ihre Erfahrung mitbringen gerne bei kontakt@ok-be.de.